Brotmangel
auf meiner stets leeren Tischdecke
Brotmangel allein schmerzt mich nicht
im
Haus, in dem ich unwillkommener Gast bin.
Die Schauseite meines Lebens
wird
bei Tag und bei Nacht
von den Peitschenschlägen der Ohrfeigen
gewärmt
und gerötet.
Die
neuen Risse in der niedrigen Decke
am Verbindungsgang zu sehen,
schmerzen
mich.
Du, meine
Nachbarin!
Jede Nacht,
hinter der geschlossenen Eisentüre,
versperrst
du deine Leutseligkeit mit einem schweren Schloss.
Du gehst zu Bett mit den
Bildern
deines mächtigen Großvaters in Militärstiefeln.
Du,
meine Nachbarin!
Jeden Tag auf der Treppe
flüchtest du vor meinem Lächeln
und der Begrüßung,
und immer wieder
bist du beunruhigt über
den Fortbestand der besseren Rasse!
Der
Glanzmangel deiner Blicke schmerzt mich,
deine seelenlosen blauen Augen,
die
nicht weiter als bis zur Hausmauer sehen,
nicht weiter.
Mich
schmerzt die Unnahbarkeit deiner Hände,
die jede Hand wegstoßen,
welche
nicht deine Hautfarbe hat.
Im
Farbgemisch der belebten Straßen
schmerzen mich
die Schimpfworte,
die dir aus dem Mund schießen
für jede Stimme, die nicht deine Sprache
spricht.
Ich kenne
keine Einsamkeit,
weil schon zu lange an allen Wegkreuzungen
dieses Weltdorfes
die Spuren meiner Liebe zu finden sind
und mein Herz schlägt
mit dem
Puls aller fünf Kontinente.
Meine
Nachbarin!
Die Kleinheit deiner Welt schmerzt mich.
Hast
du dir je Gedanken gemacht,
auf welcher Erdenseite du stehst?!
14
Oktober 2005 Wien
deutsche Fassung: Nahid Bagheri - Goldschmied
Von
einer Fremdheit zur anderen
Der
Abstand zwischen Mutter und Tochter:
Ein paar Winter, ein paar stille Jahre,
in
denen das Mädchen
in jedem Winkel des Hauses
sich in einer Sackgasse
gefunden hat.
Sehnsucht nach Flucht krallte sich
in seinen jungen Gedanken
fest.
Wie träge
schlich die Zeit,
wenn sich die Mutter neben der Katze
an die warmen Möbel
lehnte,
zufrieden und still
auf ihr kleines Imperium herablächelte.
Sie:
Die Göttin der Liebe,
der Schönheit, des Stolzes,
mit einer Papierkrone.
Ihr
gesamtes Hoheitsgebiet:
Spiegel, Schlafzimmer, Küche.
Und Frühling
für Frühling ist,
sobald der Granienstock einen Riss bekam,
ihr
mütterlicher Schoß fruchtbar geworden.
Jenseits
der hohen Gartenmauer
die Stadt voll Festfreude
über die Regierungserklärung:
Lautsprecherwirbel,
unverschämte Verkündungen.
Die offiziellen
Gesetze schlachten
die Frau zum Halbmenschen vor Gericht,
zum Halbmenschen
als Augenzeugin,
die Frau zum Halbmenschen
Die Frau, die Göttin
der Liebe.
der Schönheit, der Fruchtbarkeit.
An
diesem Tag bekam das Bauchfell
der Gewohnheit einen Riss.
Der Vater verstand
die Zeit nicht mehr.
(Ihre Mutter ist doch nie allein verreist,
und vor
ihr siebzig Großmütter hintereinander
sind nicht aus dem Haus gegangen
ohne
Vater oder Mann.)
Und das Mädchen
flieht vor den Fettaugen der Küche.
An
diesem Tag hat sie still vom Boden
ihren gepackten Koffer gehoben,
den ekelhaft
alten, der ihr den Muffgeruch
all der Jahre in die Nase steigen ließ,
die
staubigen Gedanken ihrer Geschichte,
das große Grab all der Generationen
von Frauen.
Heute
steht ihr Koffer auf einer Erde,
die ein Schmelztopf der Nationen
ist.
Und auch hier: Gesetze, Lautsprecherwirbel:
Ausländer sind Menschen
zweiter Klasse.
Der
Papierdrache
Staatsbürger
der Verzweiflung bin ich:
ein Papierdrache mit zerrissenem Faden,
der manchmal
bei dem Abstieg,
durch zornigen Wind weggedrängt wird,
von Zeit zu
Zeit plötzlich
bis zum Sonnenpalast hochfliegt.
Die
Nacht breitet ihre Farben über die Stadt.
In welchen Gassen und Siedlungen
spazierst du herum?!
Du! Mutwilliges Kind des Schicksals!
Wann
zähmen deine Hände wieder
die Fäden dieses Papierdrachens?!
Über
welchem Haus kannst du
die Fahne meiner winzigen Freude hissen?
Kennst
du ein Dach?!
Wien,
Jänner 07
(deutsche Fassung: Nahid Bagheri - Goldschmied)
Sprich
mit mir nicht über die Angst
Wie
staunenswert!
Der Holzwurm Angst,
bleibt allein,
er atmet nicht mehr,
und
benagt nicht mehr
die Scheidewand der Gedanken,
wo die Gazelle Liebe,
leicht
und graziös einherschreitet
die grünenden Wälder der Zivilisation
durchquert,
und bei jedem Stehenbleiben
um frischen Atem zu holen,
den Duft der
menschlichen Wunder spürt.
Sprich
mit mir nicht über die Angst,
weil ich mit allen Wäldern der Welt
vertraut
geworden bin
Mein Rock ist voller Blumenduft.
Wien
2006
Bedürfnis
Bei
Sonnenaufgang,
bei jeder Morgendämmerung,
wenn Erde und Sonne sich
im Beischlaf hingeben,
wachse ich aus der erwärmten Eizelle der Erde.
Bis
hin zur Höhe der Herrlichkeit des Morgens
Werde ich der lebhafteste Lobpreis
der Liebe,
von Kopf bis Fuß: Gesang!
Im
blauen Himmel des Lebens
breitet mein Blick die Flügel aus,
und mein
orientalisches Herz, leidenschaftlich,
zigeunerhaft, beginnt ein anderes Pochen
Versperrte
Brücken überspannen,
einschüchternd wachende Stacheldrähte
überfliegen,
die fünf Kontinente furchtlos durcheilen,
- da ist
der fiebernde Puls der Menschheit.
In
der klaren Weite meiner Gedanken:
Meine vielrassigen, hungrigen Kinder,
kränkelnd,
die Zukunft erbrechend,
blasse Träume gähnend,
wartend auf Brot.
Die
Menschheit schreit,
und mein orientalisches Herz schlägt
für die
wesentlichen Bedürfnisse:
Brot
Frieden
Freiheit
Wien,
1986
Atemberaubend
Tick
Tack Tick Tack
Die Zeit liegt im Niemandsland
zwischen den Minuten,
und
die Tragödie beginnt.
Der
Tag, schwächlich und alterskrank,
schleppt sich bis zur Mauer der Dämmerung,
wo
er langsam hinstirbt .
In einer Sänfte wirbelt der Sturm
die blutgierige
Hexe Nacht herbei.
Wolken
brüllen ohne Regen,
die Hexe tanzt auf der Leiche des Tages.
Gassen,
Straßen, die ganze Stadt
liegen angstklappernd in Ketten.
Tick Tack
Tick Tack
Und die Tragödie dauert an.
An
mein Haus pumpert der Sturm mit Getöse.
Andauernder Verfall ist mein Haus.
Wolkenräuber
raffen das Mondlicht
vom Dachfirst,
der Sturm, dieser Grobian,
zerschlägt
alle Fenster.
In
dieser unersättlichen Finsternis
überziehen sich alle Spiegel
mit
schwarzem Filz.
Ein Windstoß hat meine Abendlampe
noch vor dem Aufleuchten
gelöscht.
Draußen
auf der Trasse zittere ich
in den Fängen der Nacht.
Weither
das das Lärmen von Glocken:
Ding Dang Ding Dang
Mach dir keine Gedanken
über meinen Verfall.
Die Niemandslandzeit bewirkt,
dass solche Tragödien
kein Ende haben.
Aber irgendwo ist immer schon
eine Morgendämmerung
unterwegs mit neuem Atem.
Wien.
1984
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